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Instationäre, mehrdimensionale Berechnungen am Beispiel erdberührter Bauteile

Verfasst: Mittwoch 23. Januar 2019, 20:12
von Admin_Krec
[attachment=0]Merkblatt_instationaer.pdf[/attachment][attachment=0]Merkblatt_instationaer.pdf[/attachment]Die Instationär-Version von AnTherm bietet die Möglichkeit, im Zuge mehrdimensionaler Berechnungen auch die Einflüsse der Wärmespeicherfähigkeit zu berücksichtigen. Nun mag man vielleicht meinen, dass die Wärmespeicherfähigkeit nur im Sommer eine Rolle spielt und ihr in Zusammenhang mit Wärmebrückenberechnungen bestenfalls eine akademische Bedeutung zukommt. Diese Meinung mag in Zusammenhang mit luftberührten Bauteilanschlüssen durchaus berechtigt sein, sofern nur der Wärmedurchgang interessiert. Schon bei der Frage nach Oberflächentemperaturen oder Temperaturen im Bauteil wird die instationäre Berechnung bei massiver Bauweise zu deutlich anderen Planungsempfehlungen und Bewertungen führen als eine stationäre oder quasistationäre Rechnung.

Bei einem wichtigen Sonderfall spielt die Wärmespeicherfähigkeit allerdings eine derart dominante Rolle, dass die Sinnhaftigkeit einer stationären oder quasistationären Betrachtungsweise von vornherein in Frage gestellt werden muss. Im Fall erdbodenberührter Bauteile sind weite Bereiche des ein Gebäude umgebenden Erdreichs in den Wärmetransport vom Gebäudeinneren nach außen einbezogen, sodass allein aufgrund der extrem großen Masse des vom Wärmedurchgang betroffenen Erdreichs Wärmespeichereffekte keinesfalls vernachlässigt werden können.

Die Auswirkung der Vernachlässigung des Wärmespeichervermögens kann mit einem Blick auf das sommerliche Raumverhalten rasch plausibel gemacht werden: je größer das Wärmespeichervermögen der Bauteile ist, desto kleiner wird die Tagesschwankung der Innenlufttemperatur und in der Folge auch die Schwankung der Wärmeströme. Bei bodenberührten Bauteilen wirkt sich die Tagesschwankung der Außenlufttemperatur auf das Temperaturfeld im Erdboden kaum aus; aufgrund der extrem hohen Wärmespeicherfähigkeit spielt hier nur die Jahresschwankung der Außenlufttemperatur eine Rolle. Aber auch hier gilt: je größer die Wärmespeicherfähigkeit, desto kleiner ist die Jahresschwankung der Wärmeverluste. Wird nun der Einfluss der Wärmespeicherfähigkeit ignoriert, wie das bei allen stationären und quasistationären Berechnungsansätzen der Fall ist, erhält man eine viel zu große Jahresschwankung der Wärmeverluste. Das viel zu hohe Maximum der Wärmeverluste liegt dabei im Tiefwinter, also genau in jener Zeit, in dem eine möglichst genaue Erfassung der Wärmeverluste besonders wichtig ist. Bezogen auf die Normverfahren bedeutet dies, dass die quasistationäre, monatliche Berechnung mit Temperaturkorrekturfaktoren („f-Werten“), wie sie z. B. in der ÖNorm B8110-6 [1] oder in der Energieausweis-Berechnung verankert ist, tendenziell auf viel zu hohe Wärmeverluste führt.

Zwar liegen diese quasistationären Ansätze auf „der sicheren Seite“, doch liegt die Größenordnung dieser Sicherheit in Bereichen, wo deren Sinnhaftigkeit angezweifelt werden muss [2]. Insbesondere bei der Planung von Niedrigenergiegebäuden, Passivhäusern und Plusenergiehäusern kann der Fehler einer nur überschlägigen (, doch sehr wohl normgemäßen) Berechnung der Wärmeverluste über die erdbodenberührten Bauteile in der gleichen Größenordnung liegen, wie die Summe der Wärmebrückenzuschläge für alle Bauteilanschlüsse des Gebäudes. Bei Gebäuden mir großflächigen bodenberührten Bauteilen, wie z. B. bei Werks- oder Lagerhallen, ist der Wärmeabflusses über den Erdboden nach außen und zum Grundwasser zumeist der bestimmende Faktor für das thermische Gebäudeverhalten. Bei einer zu ungenauen Erfassung dieser Wärmeverluste liegt die Gefahr von Fehleinschätzungen und Fehlplanungen sehr nahe.

Auf dem Gebiet der Wärmeverluste über erdbodenberührte Bauteile besteht offenbar dringender Bedarf nach verfeinerten Berechnungsmethoden. Diese sollen helfen, die Planungssicherheit zu erhöhen und die Bewertung der thermisch-energetischen Qualität von Gebäuden realitätsnäher zu gestalten. Dies war ein Grund für die Entwicklung eines Anwenderbezogenen Simulationsprogramms, mit dem die Jahresverläufe der Wärmeverluste über erdbodenberührte Bauteile mit bisher nicht gekannter Genauigkeit berechnet werden können.

Es war insofern nicht weiter schwierig, AnTherm und THESIM miteinander zu verknüpfen, als beiden Programmen der gleiche theoretische Ansatz zugrunde liegt. In der auf instationäre, periodisch eingeschwungene Vorgänge verallgemeinerten Leitwert-Theorie kann für jede Harmonische (d. h. für jeden rein sinusförmigen Zeitverlauf) die Wärmeleitungsgleichung exakt gelöst werden [3]. Da der aus den langjährigen Monatsmittelwerten gebildete, geglättete Jahresgang der Außenlufttemperatur sehr gut mit einer reinen Sinuskurve approximiert werden kann, bringt bereits die Rechnung mit nur einer Harmonischen eine brauchbare Näherung; durch Hinzunahme mehrerer Harmonischer kann eine Abweichung vom rein sinusförmigen Verlauf beliebig gut modelliert und die Genauigkeit des Berechnungsergebnisses nach Belieben gesteigert werden.

Die instationäre Leitwert-Theorie [3] kann als Grundlage eines Gebäudesimulationspro-gramms, das die Mehrdimensionalität von Wärmedurchgang und Wärmespeicherung zu erfassen gestattet, verwendet werden. Programmpaket THESIM wurde nach den in [4] beschriebenen, auf die Leitwert-Theorie aufbauenden Simulationsalgorithmen entwickelt. Für den hier interessierenden Spezialfall des Wärmedurchgangs durch den Erdboden wurde das Simulationsprogramm THESIM mit einer Benutzeroberfläche kombiniert, die zwar die vielfältigen Möglichkeiten des Simulationsprogramms nur eingeschränkt nutzt, die Handhabung für den Benutzer damit jedoch sehr einfach werden lässt. Auf diese Weise wird erreicht, dass selbst dreidimensionale, instationäre Simulationen ohne großen Aufwand und ohne weitreich-endes Spezialwissen möglich werden.

Literatur
[1] ÖNorm B8110-6, Wärmeschutz im Hochbau – Teil 6: Grundlagen und Nachweisverfahren – Heizwärmebedarf und Kühlbedarf, Ausgabe 2011-03-01
[2] J. N. Nackler, Wärmeverluste erdbodenberührter Bauteile im Passivhausstandard – Vergleich verschiedener Berechnungsverfahren, Masterarbeit, Fakultät für Architektur und Raumplanung der TU Wien, 2010 (als Download unter www.thesim.at verfügbar)
[3] K. Krec, Zur Wärmespeicherung in Baukonstruktionen, Gesundheits-Ingenieur 114, Heft 1, 11-18, 1993 (als Download unter www.thesim.at verfügbar)
[4] K. Krec, Zur dreidimensionalen Simulation des thermischen Verhaltens von Gebäuden, Gesundheits-Ingenieur 121, Heft 6, 293-344, 2000 (als Download unter www.thesim.at verfügbar)

Re: Instationäre, mehrdimensionale Berechnungen am Beispiel erdberührter Bauteile

Verfasst: Mittwoch 23. Januar 2019, 20:16
von haraldhuth
Vielen Dank das dieses Thema endlich aufgegriffen wird. In der Schweiz wird in der SIA 380 ein Raum im Erdreich einfach mit dem Faktor 0.80 reduziert. So dass das Ergebins noch weniger der Realität entsprechen dürfte. Wir werden in absehbarer Zeit die Programmerweiterungen durchführen. Mich würde aber vorab die besondere Situation von Kellerräumen welche 40 bis 100 cm Aussenluftberührt sind interesieren. Meine Erfahrung aus den Messungen von solchen Gebäuden, zeigen auf, dass hier besonders in den ersten kalten Monaten die erdberührten Wände die Innentemperatur anheben. Die bei älteren Gebäuden nicht gedämmten aussenluftberührten wände extrem auskühlen und sich somit der gesamte Wärmestrom in der Wand anders als bei der Standardberechnung verläuft. Hier kann ich zwar mit annäherungen bei den Temperaturen in Antherm arbeiten. Es wäre aber sehr schön dies mit THESIM besser abbilden zu können.

Harald Huth, CH

Re: Instationäre, mehrdimensionale Berechnungen am Beispiel erdberührter Bauteile

Verfasst: Mittwoch 23. Januar 2019, 20:25
von Admin_Krec
Es freut uns sehr zu sehen, dass wir nicht die Einzigen sind, die die Dringlichkeit einer Verbesserung der rechnerischen Erfassung von Wärmeströmen über erdbodenberührte Bauteile erkannt haben!

Zur Simulation eines unbeheizten Kellers merke ich Folgendes an:

- Die dreidimensionale Modellierung des Kellerrraums inklusive Kellerdecke ist mit AnTherm kein Problem. Der Anteil der außenluftberührten Kellerwände kann beliebig modelliert werden und könnte z. B. als Parameter in eine Parameterstudie über Temperaturen in unbeheizten Kellerräumen eingehen.

- Ergebnis von THESIM ist in diesem Fall der Jahresverlauf der Lufttemperatur im Kellerraum bei vorgegebenen Jahresverläufen der Außenlufttemperatur und der Lufttemperatur im EG. Zudem kann für den Kellerraum eine (konstante) Luftwechselzahl vorgegeben werden (z. B. 0,3 1/h).

- Der per Simulation errechnete Jahresverlauf der Kellertemperatur kann wiederum in das (instationäre) AnTherm als Randbedingung eingegeben werden (z. B. über die von THESIM errechneten Monatsmittelwerte). In der Folge können die Temperaturverteilungen im gesamten Berechnungsmodell - und somit auch an allen Oberflächen - für beliebige Zeitpunkte im Jahr abgerufen und mittels Falschfarbenbild und/oder Isothermen dargestellt werden.

Die gemessenen Effekte sollten sich somit rechnerisch reproduzieren lassen.

Grundlegende theoretische Überlegungen zur Berechnung der Lufttemperatur im unbeheizten Kellerraum habe ich bereits 1994 im WKSB publiziert. Das Manuskript zum damaligen Aufsatz - "Die Lufttemperatur im unbeheizten Kellergeschoß; eine Fallstudie" - kann im Menü "Download" eingesehen werden.

Eine interessante Lektüre wünscht
Klaus Krec